Zwanzig persönliche Standortbestimmungen
Wie ist jede – aber auch jede – Sprache schön,
wenn in ihr nicht nur geschwätzt, sondern gesagt wird.
(Christian Morgenstern)
Ausgerechnet als diese Buchbesprechung im Entwurf entstand, geriet die deutsche Öffentlichkeit in Wallung. Wegen einer Sprachfrage. Die CSU, gemeinhin nicht mit filigraner Formulierungskunst auffällig, hatte gefordert, Zuwanderer anzuhalten, Deutsch zu sprechen, auch im Privaten. Doch kaum war ihr das Wort entfahren, brach ein veritabler Shitstorm los. Die politisch korrekte Elite übte sich wie gehabt in Betroffenheitsritualen.
Doch der Geist war nun mal aus der Flasche. Und wir ahnen: Unter dem Feuerwerk der Entrüstung schwelt Unbehagen, eine Besorgnis, bei der es auch um Sprache geht. Um unsere Identität stiftende Sprache.
Unsere Sprache ist Anfechtungen ausgesetzt: Die gleichmacherische Globalisierung, wo rudimentäres Englisch und mehr noch Geld zur Lingua franca werden. Die formalisierten Häppchen- und Emoticon-Sprachen der IT-Welt. Die Dummsprech von Medien als Reverenz an den Massengeschmack. Der Druck beleidigter Fundamentalisten. Und, nicht zuletzt, die Ignoranz allzu vieler. Allesamt stören sie die natürliche Fortentwicklung der Sprache.
Nun regt sich Aufbegehren. In Schweden hat sich das Netzwerk Språkförsvaret (Sprachwehr) des Problems angenommen. Wehrkraft aber setzt Bewusstsein voraus von dem, was es zu verteidigen gilt – wie und warum. Für ihr neuestes, drittes Buchprojekt hatte Språkförsvaret die schreibende Zunft aufgerufen, Stellung zu beziehen – gewissermaßen als unausgesprochene Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast du’s mit der Sprache?“ Aus den zahlreichen Einsendern wurden zwanzig ausgewählt, neun Frauen, elf Männer, vom Schriftsteller bis zum Journalisten, vom Übersetzer bis zum Lehrer. Herausgekommen ist die sorgfältig edierte und gediegen aufgemachte Anthologie „Guld i strupen?“ (Gold in der Kehle; einstweilen nur in Schwedisch) – ein lesenswertes Stück „Bekenntnisliteratur“. Es bewegt sich überwiegend auf der gefühlsmäßig-subjektiven Ebene.
Kürzestmögliche Erwähnungen einiger Beiträge sollen hier das Anliegen von Språkförsvaret veranschaulichen. Ein Werturteil stellen sie nicht dar.
Nicht lange ist es her, da umflorte das Schwedische noch ein Hauch von Exotik. Von Schloss-Gripsholm-Romantik. Englisch und Französisch, das waren die gängigen Fremdsprachen. Doch das Nordische? Klingt irgendwie nach Holländisch!
So stürzte sich die deutschstämmige Hillo Nordström, als sie durch Heirat nach Schweden kam, „Hals über Kopf ins Sprachbad“ und fand sich wieder in einer „faszinierenden und sinnlichen Welt“. Sie brachte es zu einer Stockholmer Stadtführerin.
Die erzählerische Brillanz des Angelsächsischen, die philosophische Klarheit des Französischen, die Tiefgründigkeit des Deutschen, diese Wesenszüge sind dem Schwedischen fremd. Fern von allem „Anspruchsvollen“ verleiht es dem unverbildeten Zustand von Mensch und Natur Wort und Stimme. Dieser Zauber nahm auch Frank-Michael Kirsch, Mitherausgeber von „Guld i strupen?“, schon während seines Skandinavistikstudiums an der Uni Greifswald gefangen. Da blieb es nicht aus, dass er sich beim Dolmetschen oftmals vor erhebliche semantische Herausforderungen gestellt sah: Wie lässt sich das Geschwurbel des „real existierenden Sozialismus“ adäquat ins Schwedische übertragen, diese geradlinige, von Schnörkeln, verbalen Umwegen und Imponiergehabe fast gänzliche freie Sprache? So hat er sie verinnerlicht. Seine Worte machen Lust auf schwedische Literatur.
Eine Sprache als Klangwunder, dieses überschwängliche Lob wird öfter mal und unwidersprochen dem Französischen und Italienischen zuteil. Aber auch schwedischem Wohlklang? Geradezu hymnisch bekennt der in Stockholm lehrende Universitätsdozent für Norwegisch, Finn-Erik Vinje: „Norwegischen Ohren vermittelt das Schwedische Schönheitswerte höchsten Ranges.“ Denn diese Sprache habe „gull i strupen“. Womit er dieser Anthologie ihren Titel geschenkt hat.
Sprache versagt sich objektiven Maßstäben, Der eine verspürt „goldene Kehlen“, der andere üble Fäkalien: „Viele haben die Sprache in eine Kloake ..... verwandelt“. Das Verdikt von Björn Ranelid, dem viel gelesenen, aber auch umstrittenen Schriftsteller, ist ein Paukenschlag. Und er sattelt noch eins drauf: „Es ist, als gäben ahnungslose Papageien bedeutungslose Laute von sich ..... Das ist Sabotage und Sachbeschädigung an einem unschätzbaren Erbe.“ Im Kern ist das nicht von der Hand zu weisen angesichts der um sich greifenden Verluderung der Sprache.
Gibt es Nationalcharaktere? Ja. Ethnologen und Soziologen sind sich in dieser Frage weitgehend einig. Völkern werden bestimmte Wesensmerkmale zugeschrieben. Schweden gelten heute als friedfertig, harmoniebedürftig, konsensorientiert bis zur Konfliktscheu. Das spiegelt sich auch in der verbalen Kommunikation wieder. Der/die Sprechende will nicht konfrontativ wirken, niemandem wehtun und sagt deshalb gern „weiß nicht“ statt „nein“, oder „man“ statt „ich“. Mit solch schwedischer Tonalität beschäftigt sich der gebürtige Australier John Alexander unter dem Titel „Die höflichste Sprache der Welt“. Er beruft sich darin auf den amerikanischen Anthropologen Edward T. Hall, der zwischen „low context“- und „high context“-Kulturen unterscheidet. „low context“, ist demnach die direkte Ansprache: ja ist ja, und nein ist nein – wie etwa in Deutschland und den USA. „high context“-Kommunikation hingegen suche die Vernetzung mit dem Umfeld und bleibe somit oft im Ungefähren, womöglich gar im Unaufrichtigen. Beobachtungen in dieser Richtung hat Alexander auch im Schwedischen gemacht. Mit diesem soziolinguistischen Ansatz ist sein Beitrag einer der interessantesten dieses Buches.
Mit „Guld i strupen?“ präsentiert Språkförsvaret einen facettenreichen Überblick über die weichen Werte der schwedischen Sprache. Als Abrundung des Lehrstoffs ist es Studenten der Skandinavistik dringend zu empfehlen.
Jürgen T. Honig
(Publicerad i Sprachnachrichten mars 2015 - här med recensentens tillstånd)